Bild: Christoph Boeckheler

Die Adventszeit 2019 ist für Rosemarie L. eine traurige, geprägt vom Abschiednehmen. Wo sonst die ganze Wohnung im vorweihnachtlichen Schmuck erglänzte, strahlt in diesen Tagen nur eine einsame Lichterkette.

Vor wenigen Wochen hat die 75-Jährige ihren Ehemann verloren. Eine Veränderung, die „wehtut“ – und zudem die Lebenssituation der Seniorin auf den Kopf stellt.

Ab dem Februar kommenden Jahres wird die „Witwenrente“ wegfallen, monatlich werden dann rund 200 Euro für die alltäglichen Aufwendungen bleiben. „Und es bleiben die Schulden meines Mannes, die ich in Raten abzahlen muss.“ Eine sehr enge Geschichte sei es schon jetzt.

Seit 38 Jahren wohnt Rosemarie L. in einem Mietshaus in Dreieich. Gemütlich und bunt hat sie sich in dem Altbau-Domizil eingerichtet. „Ich liebe Farben.“ Und am meisten ihren Kater „Sion“, der einst vom Tierschutz übernommen wurde, mittlerweile als „wichtigster Partner“ gilt. „Nach dem Tod meines Mannes hat er mich gerettet.“

Die hochwillkommene Unterstützung der Altenhilfe soll nun dazu beitragen, „einen Schnitt zu machen“. Warme Bettwäsche steht auf der aktuellen Wunschliste – „auch, um Abstand von den Erinnerungen zu gewinnen“.

Die Frühaufsteherin – „morgens um 7 Uhr bin ich schon im Lebensmittelladen“ – benötigt zudem eine neue Winterjacke, mit der das winterliche Radfahren bewältigt werden kann. Güter des täglichen Bedarfs werden mit dem „alten Rad“ transportiert, schwere Wasserkästen bringt der Getränkehändler in den Keller. „Zuweilen helfen auch die Johanniter.“

Hilfe hat die geistig rege und energische Frau zuvor nie gebraucht. „Ich habe gut verdient und gut gelebt.“ Als „Neujahrskind“ in Frankfurt-Sachsenhausen geboren, übernahm Rosemarie L. im Alter von 20 Jahren eine Au-pair-Stelle in Paris, verständigte sich wie selbstverständlich in Französisch und Englisch.

Sie wird zur Industriekauffrau im Hause des Parfümherstellers Mouson ausgebildet, arbeitet danach als Sekretärin und Übersetzerin für diverse Industriefirmen und im Hochtaunusstift. Mit der Geburt ihrer Tochter steigt sie für Jahre aus dem Beruf aus.

„Der Wiedereintritt war schwierig.“ Mit einer EDV-Zusatzausbildung gelingt schließlich der Wechsel vom Küchen- zum Bürotisch. Durch die zeitliche Unterbrechung habe sich trotz vollem Berufsleben wenig auf dem Rentenkonto angesammelt.

Auch der Kreis an Bekannten ist überschaubar geworden. „Meine beste Freundin lebt in Koblenz – uns bleibt nur noch das Telefon.“ Die Familie der Tochter ist eher selten zu Gast: „Die haben kaum Zeit.“

Obwohl die Trauer andauert, will sich Rosemarie L. wieder Freude in die Wohnung holen. „Blumen und Pflanzen, selbst eingetopft“, sagt eine, die bei der Nachbarschaftshilfe mitgearbeitet hat und voller Begeisterung handschriftliche Briefe verfasst. Und die daneben vom Geschehen in der Welt nicht unberührt bleibt: „Gewaltige Veränderungen, wohin man blickt.“ ov