Bild: Rolf Oeser

Seit einem Jahrzehnt ist Birgit V. ehrenamtlich tätig, eine feste Größe im „Kinder-Zentrum“ des benachbarten Mehrgenerationenhauses. Doch nun belasten psychische Probleme ihren Alltag.

Regelmäßig hat die 81-Jährige dort „sanfte Wissensvermittlung“ in Form von Handarbeits- und Lese-Einheiten durchgeführt, die verschiedenen Programme mitgetragen. Wegen Corona ruht nun das Engagement – was die geistig hochaktive Seniorin mehr als bedauert: „Der Austausch, die Gesprächen fehlen mir ungemein.“

Die sich an Krücken fortbewegende Frau ist in diesen Wochen mehr als sonst ans eigene Heim gebunden, eine 48 Quadratmeter große Wohnung in einem Wiesbadener Caritas-Gebäude. „Architektonisch schön gemacht.“ Langeweile komme keine auf, sie könne sich gut mit Stricken, Malen und Lesen beschäftigen.

Doch, so Birgit V., fehle ihr die Familie, der Kontakt zu den Geschwistern. „Nur eine Nichte wohnt in der Nähe.“ Die bereits geplante Reise zur Schwester nach Ibiza – „mein Weihnachtswunsch“ – wurde jetzt ad acta gelegt.

Obwohl die seit den 1960ern in Wiesbaden Lebende „nicht klagen will“ und das deutsche Sozialwesen sehr lobt, belasten psychische Probleme den Alltag. „Ich muss dauernd an mir arbeiten.“ Probleme, die auch das Ende einer erfüllten Berufslaufbahn gebracht, die vitale Frau in die Altersarmut getrieben haben. Heute bekommt sie eine Grundsicherung und muss mit etwa 300 Euro monatlich haushalten. Sie komme klar, aber Purzelbäume könne man damit keine machen.

1939 in dem Rheingau-Taunus-Dörfchen Wambach zur Welt gekommen, sind ihr die Hungerjahre nach Kriegsende noch deutlich in Erinnerung. „Da habe ich verzichten gelernt.“ Nach der Schulzeit in Wiesbaden absolviert die junge Frau eine kaufmännische Ausbildung nebst Weiterbildung zur Sekretärin. Sie steigt bis ins Vorstandssekretariat auf, heiratet, zieht mit ihrem Mann aufs Land.

Die Verbindung hält nicht lange. Mit dem Ex-Mann bleibt sie jedoch freundschaftlich verbunden, arbeitet sogar als Geschäftsführerin in der Boutique von dessen zweiter Ehefrau. 1975 eröffnet die kreative Gründerin einen Strumpfladen in der Altstadt, erlebt zehn erfolgreiche Jahre – um plötzlich psychisch aus der Bahn geworfen zu werden. „Ich musste das Geschäft auflösen und meine beiden Lebensversicherungen zur Schuldentilgung einsetzen.“

Mit einem Schlage ist die geplante Altersversorgung dahin. „Ein Glück ist jedenfalls“ , sagt die 81-Jährige mit Blick auf die schweren Zeiten, „dass unsere Familie intakt geblieben ist.“ Ohne die Unterstützung der Altenhilfe, so Birgit V., seien heute besondere Ausgaben nicht zu stemmen. War es im vergangenen Jahr eine neue Brille, steht das Jahresende 2020 im Zeichen zahnmedizinischer Notwendigkeiten. „Eine Brücke, bei der ich zuzahlen muss.“ Ein Stück Lebensqualität auch dies. Olaf Velte