Bild: Peter Jülich

Es gibt Phasen, in denen auch die geliebten Klassiker der Literatur nicht helfen. Dann halten den 80-Jährigen dunkel-depressive Schübe gefangen, nimmt die Isolation weiter zu. Aber Laurenz T. kämpft dagegen an – „lass dich nicht gehen“, fordert sein Unbewusstes.

Seit sieben Jahren wird er von der Altenhilfe unterstützt, was für ihn „existenzielle Bedeutung“ hat. In Oberursel-Weißkirchen lebt er in einer kleinen Sozialwohnung und von 120 Euro monatlich. Eine 550 Euro betragende „Minirente“ wird durch die Grundsicherung aufgebessert – mehr als sechs Euro für das tägliche Essen sind nicht drin.

Obwohl ein ehrenamtlicher Helfer derzeit für ihn einkaufen geht, will der in Pommern Geborene den Gang in die Außenwelt nicht gänzlich aufgeben. „Ich muss raus, raus aus meinem Alleinsein.“ Wenn er selbst die Einkäufe erledigt, ist er körperlich massiv gefordert, geistig jedoch erfrischt. Mit Blick auf seine chronischen Schmerzen und das Erschöpfungssyndrom spricht Laurenz T. von „einem ständigen Kampf“. 

Für den Hochbegabten war eine Laufbahn als Musiker vorherbestimmt. Nach der Flucht aus Greifswald versucht ein Teil der Familie den Neuanfang in Ostwestfalen, wo sie als „Dreckspolacken“ beschimpft und mit Steinen beworfen wird. „Das hat damals die Familie zerrissen.“

Im Alter von zehn Jahren singt er als Jüngster von sechs Brüdern in einem angesehenen Knabenchor, wird später zu einem Studium an der Detmolder Musikakademie zugelassen. Was hoffnungsvoll anhebt, endet in Selbstzweifeln, ja im Abbruch der Geigerlaufbahn. Laurenz T. wird schließlich bei Bertelsmann zum Industriekaufmann ausgebildet, um sich im Anschluss als Sozialpsychologe zu profilieren.

Die beruflichen Wege führen ins Rhein-Main-Gebiet, wo er selbstständig als Unternehmensberater arbeitet, zwei Eheschließungen eingeht. Kurz vor dem 60. Lebensjahr kommt der tiefe Fall: Arbeitgeber stürzen in die Pleite, die Ehen sind gescheitert, Schulden belasten den nun krank werdenden Mann. „Lebensversicherung und Alterssicherung waren mit einem Schlage dahin.“

Einzige verbliebene Stütze ist die Tochter, mit der er einen herzlichen Austausch pflegt. Dass die Altenhilfe-Gabe ein Labsal ist, wird offensichtlich, wenn der 80-Jährige die notwendigen Anschaffungen aufzählt: „Staubsauger, Notebook und Fernsehapparat sind sehr betagt und mittlerweile marode.“ Da sei jeder Euro hochwillkommen. 

Die 68er-Epoche hat die Haltung von Laurenz T. geprägt, seinen Geist wach gehalten. Während der „kritische Hörer“ seltene klassische Musik goutiert, geben ihm die Unverwüstlichen der Dichtkunst das Rüstzeug in schwerer Zeit. „Mein Favorit ist Shakespeare in all seiner Sprachwucht.“ Olaf Velte