Bestens unterhalten wurden die Klienten und Klientinnen der FR-Altenhilfe im Varieté im Neuen Theater Höchst. (Bild: Renate Hoyer) 

Es ist einer der raren Momente der Stille. Die Musik verstummt, die Zuschauerinnen und Zuschauer halten den Atem an. Nadia Lumley kreist.

Auf der Bühne des Neuen Theaters Höchst an der Emmerich-Josef-Straße hängt sie im Cyr Wheel und lässt Zusehende schwindelig werden. Das Cyr Wheel ist ein Gerät ähnlich dem Rhönrad, allerdings nur mit einem Reifen. Benannt ist es nach Daniel Cyr, dem Athleten, der es bekannt gemacht hat.
Es könnte auch Lumley-Rad heißen, nach der Akrobatin, die die Gäste in Höchst verzückt. Rund 240 sind zur Sondervorstellung gekommen, die Alten- und Weihnachtshilfe der Frankfurter Rundschau hat ihre Klientinnen und Klienten eingeladen.

Es gehe bei der FR-Altenhilfe eben nicht nur darum, den Bedürftigen finanziell etwas unter die Arme zu greifen, sagt Michael Bayer, kommissarischer Chefredakteur der FR und Vorstandsmitglied bei der Altenhilfe. Man wolle den Menschen ab und an auch etwas bieten. „Sie sollen etwas Schönes erleben.“ Zum Beispiel, sie aus dem Alltag ins Varieté zu holen.

Das kommt an: Um 15 Uhr ist Einlass, man kann noch in Ruhe die Jacke abgeben, etwas trinken, im Bad die Frisur zurechtrücken. Erst um 16 Uhr beginnt die Vorstellung. Heute harren die Menschen sogar schon um 14.30 Uhr erwartungsvoll vor dem Theater aus. Also öffnet Leiterin Simone Reuter früher als gedacht. Soll ja keiner auf der Straße stehen.

Hans-Dieter Klein, Vorstandsvorsitzender der Altenhilfe, begrüßt die Gäste, wirft einen kurzen Blick auf ihre Karten und erklärt, welchen der zwei Saaleingänge sie benutzen sollen. Bald gesellen sich Christoph Wieland und Ruth Klesel dazu, die zwei hauptamtlichen Kräfte der Altenhilfe.

Rollstühle und Rollatoren fahren durch den Kinoeingang des Hauses, um die Fronttreppe zu vermeiden. „30 Rollatoren können wir parken, danach wird es eng“, sagt Klesel. Wie an einer Garderobe erhalten die Gefährte eine Abholnummer.

Zurück zur rollenden Artistin. Lumley kreist nicht nur in ihrem Rad umher, sie demontiert das Gerät dabei auch. Die gerundeten Stangen lassen sich zum Rad zusammenstecken und eben auch wieder auseinandernehmen, zu allen möglichen dubiosen Formen. Was gleichermaßen lustig wie poetisch aussieht. Sie nutzt die Einzelteile, um damit zu schwingen und zu kreisen, nebenbei konstruiert sie eine Bühnenplastik, die an Höhlenmalerei erinnert.

Ähnlich ursprünglich geben sich die kernigen männlichen Artisten, die offensiv die gestählten Oberkörper und ein bisschen mehr präsentieren. „Wollt ihr noch etwas sehen?“, fragt der halbnackte Einradfahrer keck ins Publikum. Und meint damit Kunststücke. „Alles“, ruft eine Dame aus dem Publikum zurück, und man weiß nicht genau, ob sie auch die Kunststücke meint. Woraufhin alle lachen. Auch der Artist, der sich kurz sammeln muss.

Keine Frage, die Stimmung ist gut. Das Neue Theater kennen sie schon lange, erzählen zwei Damen im Foyer. Früher sei es ein Kino gewesen. Eines von vieren in Höchst. Im Neuen Theater liefen immer die Liebesfilme. „Wir haben in der letzten Reihe gesessen und geknutscht“, erinnert sich die eine lächelnd.

Ihr Handy klingelt, der Sohn ist dran. Er habe gefragt, wie sie denn ins Theater komme, erzählt sie hinterher. „Na, mit dem Fahrrad“, habe sie geantwortet.

Es sei schön, alte Bekannte zu treffen, sagt eine andere Besucherin. Rockerin sei sie mal gewesen, plaudert sie. So mit lauter Musik und einer Harley, einem ikonischen Motorrad. Weniger schön: wenn man die Bekannten dann irgendwann nicht mehr trifft. Das Alter, der Tod. Das sind dann traurige Momente. Auch Grautöne gehören zu einem bunten Abend.

So findet die Herrenriege, die in der Pause über die Show fachsimpelt, auch nicht alles toll: „Die Macho-Nummern gefallen mir nicht so gut“, sagt der eine, ist aber ganz betört von Iryna Hladka und ihrer Hula-Hoop-Vorführung. Sein Urteil: „Das war keine Kleinkunst, das war großartig.“

Auch die Band Neelah gefällt, die die Show begleitet. Da sind sich alle einig. Die Herrenriege kommt dann auf die eigenen Musikbemühungen zu sprechen. Er habe eine Gitarre geschenkt bekommen, sagt einer. So ein Instrument habe er sich lange nicht leisten können. Die neue Gitarre habe aber Stahlsaiten, er habe früher auf Nylon gespielt.

„Unbedingt dranbleiben und weiter üben“, empfiehlt sein Freund. Auch im gehobenen Alter sei es gut, ein Instrument zu lernen. „Das hält die Demenz fern.“ George Grodensky