Philipp Stielow (58) ist Pressesprecher des VdK-Landesverbands Hessen-Thüringen. (Bild: privat)

Der Sozialverband VdK Hessen-Thüringen warnt bereits seit Jahren davor, dass die finanzielle Situation vieler alter Menschen im Land immer schlechter wird. Die Politik sei gefordert, mit geeigneten Maßnahmen die aktuelle Altersarmut zu bekämpfen, aber auch künftige Seniorinnen und Senioren davor zu schützen. Im Interview zeigt VdK-Pressesprecher Philipp Stielow die Gründe für zu wenig Geld im Alter auf und macht Vorschläge, wie die Regierung gegensteuern könnte.

Herr Stielow, wie viele Menschen sind in Hessen von Altersarmut bedroht?
Die Zahlen zeigen, dass etwa 20 Prozent der Menschen über 65 Jahre in Hessen sehr wenig Geld haben, aber noch über der Bemessungsgrenze für Sozialleistungen liegen. Die andere Gruppe sind etwa 108.000 ältere Menschen, bei denen die Rente oder das Vermögen nicht reicht und sie Grundsicherung im Alter beantragen mussten. Diese Zahl ist gestiegen und es wird davon ausgegangen, dass noch deutlich mehr Leute Anspruch hätten, aber keine Hilfen beantragen.

Warum wird keine finanzielle Unterstützung beantragt? Gerade ältere Menschen haben massive Hemmungen, Wohngeld, Grundsicherung oder andere Leistungen, die ihnen zustehen würden, zu beantragen. Sie schämen sich. Hinzu kommen bürokratische und digitale Hürden für ältere Menschen und in einigen Fällen auch Unwissenheit, dass einem Leistungen zustehen.

Kommen wir kurz noch mal zu den 20 Prozent, die wenig Geld haben, aber keine Sozialhilfen beantragen können. Wie geht es diesen Menschen?
Denen geht es ausgesprochen schlecht. Wir wissen von Fällen, wo die Menschen gerade so über die Runden kommen. Das bedeutet, sie sind auf die Tafel angewiesen, um sich eine halbwegs vernünftige Ernährung zu sichern. Sie können keine kostenpflichtigen Kulturveranstaltungen besuchen, können Familienmitgliedern oft keine Geschenke machen oder können sich nicht mal ein Haustier gegen die Einsamkeit leisten.

Woran liegt es, dass Menschen im Alter eine zu geringe Rente oder Ersparnisse haben?
Bei den Frauen liegt es häufig daran, dass sie in ihrem Leben viel unbezahlte Pflegearbeit geleistet haben. Die Erziehung der Kinder, Pflege der Eltern und so weiter. Dadurch war das Berufsleben unterbrochen oder nur in Teilzeit möglich. Noch heute wird 80 Prozent der Angehörigenpflege und Kindererziehung von Frauen geleistet. Damit erreicht man keine auskömmliche Rente.

Gibt es darüber hinaus weitere Gründe?
Viele Männer und Frauen werden etwa im Laufe ihres Erwerbslebens chronisch krank und müssen dann eventuell in die Erwerbsminderungsrente. 20 Prozent davon müssen sofort Sozialhilfe beantragen, weil sie kein Vermögen haben und die Erwerbsminderungsrente gering ist. Ein dritter Faktor sind die massiv gestiegenen Mieten, Energiekosten und Lebensmittelpreise im Zuge der Inflation.

Welche Maßnahmen kann die Politik ergreifen, um Altersarmut zu verhindern?
Helfen würden günstigere Mieten und das Verhindern eines weiteren Anschwellens der Inflation in den Bereichen Energie und Lebensmittel. Auch muss alles dafür getan werden, das Rentenniveau zu halten und am besten sogar, es zu erhöhen. Allerdings stehen die Zeichen eher auf Absenken oder eine Erhöhung des Renteneintrittsalters, was de facto für Menschen, die körperlich nicht länger arbeiten können, einer Absenkung gleichkommt. Dabei stärkt die Rente doch die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt, weil sie für Konsum ausgegeben wird. Pragmatisch wäre zudem noch, die Freibeträge beim Bezug von Grundsicherung zu erhöhen.

Es gibt aber auch positive Entwicklungen, die die Rentenhöhe beeinflussen.
Ja. Die Anhebung des Mindestlohns war ein wichtiges Zeichen. Aber der Mindestlohn reicht immer noch nicht für eine auskömmliche Rente. Eigentlich braucht es zwischen 15 und 20 Euro pro Stunde. Deswegen wäre eine weitere, moderate Anhebung wünschenswert. Auch die Durchsetzung der Mütterrente sehen wir im VdK positiv. Davon profitieren Frauen mit Kindern, die beruflich zurückstecken mussten.

Gibt es etwas, was das Land Hessen tun könnte?
Das Land kann sich auf Bundesebene und im Bundesrat für unsere Forderungen einsetzen. Wir wissen zwar, dass Parteidisziplin gilt, aber theoretisch könnte das Land Einfluss auf die Bundespolitik nehmen. Ansonsten wäre es aus unserer Sicht wichtig, die Pflege und die pflegenden Angehörigen zu stützen. Es braucht einen Ausbau der Pflegestützpunkte und Beratungsangebote für pflegende Angehörige. Damit diese nicht selbst zum Pflegefall werden und weil Pflegeheimplätze einfach zu teuer sind.

Interview: Steven Miksch