Bild: Bernd Fickert

Eine „innere Unruhe“ hat Helga P. vor kurzem um den Schlaf gebracht. Sie hat wach gelegen und durchgerechnet, wie sie durch den Monat Dezember kommen soll. „Ein Sparprogramm“, so die 72-Jährige aus Neu-Isenburg.

Rund 100 Euro bleiben monatlich zum Leben – verantwortlich dafür ist ein Kredit, den die Seniorin monatlich mit 200 Euro bedienen muss. „Ein Umzug vor fünf Jahren hat mich finanziell überfordert.“ Rente und Grundsicherung machen etwas über 900 Euro aus, die Warmmiete in der privaten Altbauwohnung schlägt alle vier Wochen mit 600 Euro zu Buche.

Helga P. lebt in Wolldecken gehüllt, unter Sparlampen, ohne menschliche Gesellschaft. Mit dem Bus sei sie seit 15 Jahren nicht mehr gefahren – „zu teuer“. Da die Frau sich vegan ernährt, ist die Nahrungsmittelbeschaffung nicht einfach. Genutzt wird der Onlinehandel, die Post bringt Kichererbsen und andere Dosenware ins Haus. Das Angebot der Neu-Isenburger Tafel hat sie nur einmal genutzt: „Da musste ich auch Wurst nehmen.“ Um Essensreste länger haltbar zu machen, wird ein Dörrautomat in Gang gesetzt. „Ich versuche immer, Vorgekochtes verfügbar zu haben.“

Dass die 72-Jährige kochen kann, hat sie einem Berufsleben als Hauswirtschafterin zu verdanken. Schon im Alter von 15 Jahren hat sie ihre erste Stelle angetreten. „Es war aber ein Fehler, immer in Privathäusern gearbeitet zu haben.“ Für das Rentenalter habe sie da nichts zurücklegen können. Befristete Jobs bei VDO in Frankfurt oder in einem Büro konnten die Situation nicht zum Besseren wenden.

Vor dem endgültigen Fall in die Arbeitslosigkeit hat Helga P. im Haushalt von „neureichen Leuten“ gewirkt. Sieben Jahre lang, fast jeden Tag von 6 Uhr bis 22 Uhr. „Zum Schluss musste ich die Büroräume des Hausherren putzen.“ Generell sei ihre Gutmütigkeit stets ausgenutzt worden – ein Umstand, der sich negativ auf die Pflege von Bekanntschaften ausgewirkt habe.

Die in Travemünde geborene und aufgewachsene Frau hat früh die Scheidung der Eltern erlebt, zieht schließlich zum Vater, der sich im Raum Frankfurt angesiedelt hat. Irgendwann steht sie auf eigenen Füßen, verliert engste Angehörige, richtet sich in einer anspruchslosen Existenz ein. Eine Ehe scheitert, sie bleibt alleine. Eine Rückkehr in die alte Heimat kommt nicht infrage: „Das ist mir alles fremd geworden.“ Travemünde sei längst nicht mehr das stille Fischerdörfchen aus der Kinderzeit.

Langeweile kennt die Frau nicht, nennt hier ihren wachen Umgang mit „Radio, Büchern, eigenen Notizen“. Mit Hilfe von Schüßler-Salzen und Fachliteratur kuriere sie sich selbst – „einen Arzt brauche ich nicht“.

Seit vier Jahren wird Helga P. von der Altenhilfe unterstützt. Im vergangenen Jahr hat sie sich von der Zuwendung eine Ultraschall-Zahnbürste gekauft, mit der sie „den Zahnstein losgeworden“ ist. Da der Küchenmixer gerade seinen Betrieb eingestellt hat, kommt die Unterstützung in diesem Jahr mehr als recht. „Da bin ich so dankbar.“ ov