Bild: Bernd Fickert

Obwohl das Geld oft knapp ist, sagt Marlene G.: „Ich bin arm wie eine Kirchenmaus, ich bin aber nicht arm.“ Mittellosigkeit sei nicht nur an Geld gekoppelt, findet die 68-Jährige, auch wenn eine gewisse Unterstützung sehr helfe.

Die gelernte Buchhändlerin lebt von Grundsicherung, die mit ihrer geringen Rente verrechnet wird. Oft frage sie sich, „was der Mensch wirklich braucht“. Früher, als sie noch in einem kleinen Buchladen gearbeitet hat, wanderten häufig Blusen, Hosen, Röcke in ihre Einkaufstüten. Das habe sich seit langem geändert. „Ich muss nicht mehr in die Stadt gehen und shoppen“, sagt G.

Sie pflege die Kleidung, die sie habe, lieber länger und konzentriere sich auf wesentlichere Dinge als Konsum. „Ich gehe in der Klaviermusik auf“, sagt Marlene G. Erst spät hat sie begonnen, ernsthaft in die Tasten zu greifen. Durch eine „kleine Erbschaft“ schon vor Jahren hatte sie einen gebrauchten Flügel erstanden.

Unterricht kann sie nur dank der FR-Altenhilfe nehmen, die sie seit zwei Jahren erhält. Trotz Ermäßigung durch den Frankfurt-Pass wären die Stunden sonst zu teuer. Ohne die Spenden, so berichtet sie, würde sie wohl versuchen, sich die Stücke selbst zu erarbeiten, was äußerst schwierig sei. Die Altenhilfe bezeichnet sie als „wunderbare Einrichtung“.

Das Leben von Marlene G. verlief insbesondere in den Anfangsjahren alles andere als harmonisch. „Ich war ungewollt“, sagt G. Bis zum zweiten Lebensjahr war sie in einem Heim: „Das ist ein schweres Erbe.“ Aus dem Verhältnis ihrer Mutter mit einem verheirateten Mann, der bereits Frau und Kinder hatte, war sie geboren worden. Die Mutter habe gehofft, dass er seine Familie verlässt, um mit ihr eine neue zu gründen, was nicht passierte.

Weil die Mutter sich überfordert gefühlt habe, gab sie ihr Baby zunächst in das Heim. Später wuchs G. bei Mutter und Großmutter auf. Ihre vier Halbgeschwister traf sie als Erwachsene einige Male, den Vater kein einziges Mal.

„Das sind Dinge, die einen nie loslassen“, sagt G., die nach dem Abitur mehrere Jahre Mathe und Kunst auf Lehramt studierte: ihre Lieblingsschulfächer. Je näher der Studienabschluss rückte, desto weniger Vertrauen hatte G. in sich, „den Schülern über den Lernstoff hinaus genug mitgeben zu können“. Deshalb brach sie ab und wurde Buchhändlerin. „Da verdient man keine Reichtümer“, sagt sie.

Noch Jahre vor der Rente wurde sie arbeitslos, fand keine neue Tätigkeit. Stattdessen war sie ehrenamtlich aktiv, leitete mehrere Jahre, über die Rente hinaus, „eine gut sortierte Bibliothek“ in einem Frauengefängnis. Ehrenamtliches Engagement ist ihr wichtig: „Die Gesellschaft sähe verdammt arm aus, wenn es das nicht gäbe“, sagt Marlene G.. Clemens Dörrenberg