Bild: Bernd Fickert

Die Mutter verließ die DDR, als es die Mauer noch nicht gab. Wollte in den Westen, „was aufbauen“, erinnert sich Julius K. an den Moment, als sie verschwand und den Vierjährigen bei ihren Großeltern zurückließ.

In einem kleinen Dorf im Erzgebirge, sechs Jahre vor dem Bau der Mauer. In der Familie war der Stacheldraht bereits hochgezogen, die Ehe der Eltern am Ende, der Vater mit der Schwester zu seinen Großeltern davon. „Dazwischen war Feindschaft pur“, beschreibt der 71-Jährige die Situation. Ein Trauma auch heute noch.

Die Mutter hat Kontakt gehalten mit Paketen aus dem Westen, die Schwester hat Julius K. nur einmal noch wiedergesehen. Oma und Opa hat er als „liebe Leute, aber bettelarm“ in Erinnerung. Immerhin, „die Schulausbildung war gut“, nach der 10. Klasse lernt er Dreher im VEB Sachsenring Zwickau, baut mit an Trabis für den Export in den Osten.

Das junge Leben ist ein Anpassen in allen Lebenslagen, wie „versuchen zu überleben“ hat sich das für ihn angefühlt. Mit Hilfe eines „verständnisvollen“ Arztes wird er ausgemustert, für die Nationale Volksarmee war er nicht mehr interessant, auf dem Weg der „Familienzusammenführung“ konnte er schließlich ausreisen.

Für Julius K. war das im ersten Moment ein „Schritt von der Vergangenheit in die Zukunft“, in der das „Akklimatisieren“ verdammt schwer war. „Auf der Piste“ im Frankfurt der 70er Jahre, auf die er sich so gefreut hat, im Arbeitsleben, wo seine Dreher-Fähigkeiten nach Ost-Maßstäben nicht gebraucht wurden. Da hätte er völlig umlernen müssen.

Mit wenig auszukommen, das hat er von Kindheit an gelernt, zum Glückskind wurde er im Westen nicht. Willkommen hat er sich nie gefühlt, „echte Freunde nicht wirklich gefunden“. Mit 35, „ich war jung, dumm, verliebt“, heiratet er.

Es hat nicht lange gehalten und war sehr teuer, die Frau verschwunden, das Konto geräumt. „Das war’s mit Frauen und Ehe“, so die nüchterne Bilanz des von der Liebe Enttäuschten.

Nach 40 Jahren Arbeit im Westen fristet Julius K. sein Leben mit karger Rente in einer Einzimmerwohnung in Berkersheim, mehr als die Hälfte geht für die Miete drauf. Der Zuschuss durch Wohngeld hilft ein bisschen, „in die Grundsicherung abrutschen“ will er nicht.

Eine erfüllende Arbeitsstelle hatte er nie, eher Jobs, als Kraftfahrer in der Auslieferung für Großbäckereien, später dann als Verkäufer in verschiedenen Läden, als Kurierfahrer. Bis der Körper nicht mehr mitmacht, die Wirbelsäule verkrümmt, Gelenkrheumatismus, COPD. Für einen Urlaub reicht das Geld nie, als „einzigen Luxus“ leistet er sich noch Zigaretten.

Von der FR-Altenhilfe hat ein Nachbar erzählt, der ihn mit Fahrdiensten und Einkaufshilfe unterstützt. Als die beiden „armen Hunde“ mal wieder dasaßen und „ein bisschen zusammen gejault haben“, so Julius K., tat sich eine Hoffnung auf. Die Unterstützung der FR-Aktion ist eine schöne Hilfe geworden.

Im Sommer ist die hochbetagte Mutter gestorben, die Kosten für die Bestattung muss der Sohn abstottern. Jürgen Streicher