Bild: Michael Schick

Man mag es heute kaum glauben. Die 70er-Jahre hatten bereits begonnen, die Antibabypille war in aller Munde, natürlich heftig und verbissen diskutiert. Bei den Eltern von Patrizia L. nicht mal das, darüber wurde nicht gesprochen.

Und dann war die 17-jährige Tochter plötzlich schwanger. Und wurde zur Heirat gezwungen, „die Mutter wollte das so“. Der Kampf um Frauenrechte in der Frühphase, in Bad Ems kein Thema. Da musste Patrizia L. durch, musste auch während der Schwangerschaft bis zuletzt als „Mädchen für alles“ in der Wirtschaft der Schwiegereltern mitschuften.

Im siebten Monat wollte das Kind während der Arbeit raus aus dem gequälten Körper, starb noch am ersten Tag. Es wäre körperlich und geistig behindert gewesen, sagte man ihr. Eine Liebesheirat war das nicht mit dem ersten Mann. Trotzdem wurde Patrizia L. mit 19 wieder schwanger, sie wollte ja gern ein Kind.

Der Mann wollte Alkohol, dann gab es auch Schläge für die Frau, im Umfeld hat es keiner sehen wollen. Patrizia L. ging im Imbiss arbeiten, von 5 Uhr nachmittags bis Mitternacht, der Mann ging fremd mit der Babysitterin. „Als ich ihn in flagranti erwischt habe, war das Maß voll“, das Selbstwertgefühl siegte über die Angst.

Die Wohnung hat er noch ausgeräumt, das Geld ohnehin stets verprasst, aber Hauptsache, er war weg. Mit 25, Sohn Martin ist inzwischen fünf Jahre alt, traut sich Patrizia L. mit einem Sechs-Wochen-Visum nach Amerika. Eine Freundin hat sie eingeladen ins sonnige Florida, der Sohn bleibt gern bei einer Tante.

Die Mama kommt etwas verspätet zurück, hat in der Sonne einen Puertoricaner kennen und lieben gelernt. Da hat sie sich „viel abgeguckt vom freudigen, positiven Volk“, einziges Manko: „Die Männer sind alle Machos.“ Ihr Sommerflirt wird ihr zweiter Ehemann, nachdem er ihr nach Deutschland gefolgt ist.

Der Flirt ist zu Ende, als er nach zehn Jahren in Diensten der US-Army am Standort Wiesbaden nach Osteuropa versetzt wird und es dort mit einer Landsfrau „geschnackelt“ hat. Von da an schlägt sich Patrizia L. allein durchs Leben. Arbeitet als Arzthelferin und Bürokauffrau, Übersetzerin und Kellnerin, Altenpflegerin und gibt Sprachunterricht in der Erwachsenenbildung.

Der Sohn wird erwachsen, geht eigene Wege, pflegt aber Kontakt zur Mama. „Ich kann tun und lassen, was ich will“, sagt sie und will das auch positiv so leben. Das wird schwieriger, je älter sie wird. Patrizia L. übersteht zwei schwere Unterleibsoperationen, ist inzwischen auf Stock oder Rollator angewiesen.

Aber „Rumjammern zählt nicht“, das bleibt ihr Motto. Es gibt noch Freunde, Bekannte, seit vielen Jahren hat sie immer einen Hund als treuen Begleiter. Von der kleinen Rente kann sie die Miete zahlen, die Grundsicherung kommt dazu.

Über die Beratungsstelle für selbstständiges Wohnen im Alter entsteht Kontakt zur FR-Altenhilfe. Als sie im März eine neue Hüfte brauchte, erst im Krankenhaus und dann zur Reha war, wurde die Betreuung des Hundes über sechs Wochen bezahlt. „Das war toll“, Patrizia L. weint „Freudentränen“. Jürgen Streicher