Bild: Michael Schick

Die drei Wellensittiche in der Wohnung kann selbst Lotti W. mit ihrer Babbelschnute nicht übertönen.

Es sind ihre letzten Mitbewohner, seit ihr zweiter Mann am 21. Mai gestorben ist. Mit 90 Jahren, ausgerechnet drei Tage vor ihrem Geburtstag.

Aber so ist das Leben, oft einfach ungerecht und überhaupt kommt einiges unpassend und im falschen Augenblick. Und trotzdem, man muss es nehmen, wie es kommt, das hat Lotti W. früh gelernt. „Ja, es geht immer alles weiter.“

Das sagt sie auch heute noch, mit 73 Jahren, ohne Mann an ihrer Seite, zu 80 Prozent schwerbehindert, finanziell eingeschränkt, aber immer noch optimistisch und meist guter Laune.

Der Begriff „Babbelschnute“ ist bei ihr positiv besetzt, die Mentalität dahinter hat sie durchs Leben gebracht Es gab Momente, da wusste Lotti W. nicht wirklich, ob es noch weitergeht mit ihrem Leben. An diesem unsäglichen Tag, als sie, gerade mal 19 Jahre alt, auf einer Fußgängerüberquerung in der Frankfurter City von einem jungen Autofahrer „aufgegabelt“ wurde.

An der Ecke, wo ihre damalige Chefin in einer Taschenfabrik sie auf dem Heimweg immer abgesetzt hat. Voll über Kühler, Windschutzscheibe und Dach geschleudert und hinten wieder runter, der eine Fuß blieb am Auspuff hängen. „Da hat es gekracht, ich hab nix mehr gemerkt, bin in der Unfallklinik wieder aufgewacht.“

Ein Jahr Klinik, Reha, viel Krankengymnastik, es hat lange gedauert, bis sie mit zwei künstlichen Knien wieder einigermaßen laufen konnte. Fußgängerin und Autofahrer hatten gleichzeitig grünes Licht, hieß es damals, die Ampel sei verkehrt eingestellt gewesen.

Lotti W. hat sich aufgerappelt, wieder hochgearbeitet. Mit dem Vater hat sie dann am Mainufer gewohnt, und mit der Oma, die der Vater aus dem Osten geholt hat zur Unterstützung. Die Oma, die sie am Tag nach dem Unfall in der DDR besuchen wollte.

Ihre Mutter war an Krebs gestorben, da war sie 12 Jahre alt. Das frühe Leid lässt die Familie nicht los, der erste Mann von Lotti W., mit dem sie eine Tochter hat, stirbt 28-jährig, das Kind ist noch klein. Da lebt sie mit der Tochter in Dietesheim, später in Mühlheim.

Halbe Tage konnte sie wieder arbeiten, mehr nicht, wegen der Tochter und aufgrund der Schwerbehinderung. Mal im Schuhgeschäft, mal als Kontrolleurin in der S-Bahn. Heute muss sie mit knapp 500 Euro Rente und Unterstützung des Sozialamts auskommen, die FR-Altenhilfe ist für sie ein wunderbarer Bonus.

In ihrem Viertel in Mühlheim, wo der Bäcker Eifler in der Nähe ist und die Eisdiele, ist sie „bekannt wie ein bunter Hund“, sagt sie und freut sich. Lotti W. hat viele Bekannte in Mühlheim, im Eifler hat auch ihr spätes Glück begonnen, mit dem Mann, der „sein letztes Hemd für mich gegeben hätte“.

Er hat ihr seine Heimatstadt Kalamata in Griechenland gezeigt, bis zuletzt hat er bei ihr gewohnt, damit er nicht ins Pflegeheim musste. Mit Rollator kommt Lotti W. noch gut rum, geht selbst Kleinigkeiten einkaufen, sonst helfen die Bekannten, auch mit Klamotten, wenn mal was fehlt. Oder Auguste von nebenan aus der Wirtschaft, die einen Kühlschrank spendet.

Vor allem sind die Nachbar:innen und Bekannten gute Verbündete mit wiederum guten Kontakten. Wenn die Spülmaschine den Geist aufgegeben hat oder der Herd. Die wissen, wo es preisgünstig gutes Gebrauchtes gibt und das Weihnachtsgeld von der FR-Altenhilfe im richtigen Moment gut angelegt ist.

Dass Lotti im bayerischen Fürth geboren ist, hört man der Babbelschnute nach all den Jahren übrigens gar nicht an. Jürgen Streicher