Karl Gerold veröffentlichte den ersten Aufruf zur Hilfe. (Bild: Kurt Weiner/FR-Archiv)
Im Dezember 1949 veröffentlichte Karl Gerold, Mitherausgeber und Chefredakteur der Frankfurter Rundschau, seinen Aufruf unter dem Titel „So leben Menschen unter uns an Weihnachten 1949“.
„Während für viele von uns in diesem Jahr die Vorweihnachtszeit wieder erfüllt ist von liebevollen Besorgungen und heimlichen Vorbereitungen, leben zahllose Menschen vor dem Winter und den Weihnachtstagen in höchster Not. Alte Leute, Invaliden, Erwerbslose,Kranke, Witwen – wie viele sind es, für die auch in diesem Jahr kein Tannenbaum mit Lichtern erstrahlt!
Und wie viele Kinder sind es, zu denen der Weihnachtsmann eben nicht kommt! Wollen wir nicht gemeinsam versuchen, wenigstens in einige Häuser Weihnachtsfreude zu bringen?
Die „Frankfurter Rundschau“ bittet ihre Leserinnen und Leser, die es vermögen, sich an diesem Hilfswerk zu beteiligen. Wir haben uns durch viele Besuche in bedürftigen Familien davon überzeugt, dass dringend Haushaltsgegenstände, Kleidung usw. benötigt werden. Aus vielen Feststellungen hier nur einige:
An der Tür eines Hauses an der Eschersheimer Landstraße drücken wir auf den Klingelknopf der vierten Etage. Oben finden wir Frau G. Sie führt uns in die Küche, in der sie mit ihrer 81-jährigen Mutter und der kleinen Hannelore, die 1945 auf der Flucht aus Breslau geboren wurde, beim Frühstück sitzt. Nachts schläft die Familie, zu der auch noch der Ehemann gehört, in einem Raum.
In keinem der Betten befindet sich eine Matratze. Auch das Kind schläft auf dem Holzrahmen, über den ein Tuch gespannt wurde. Und dabei hat sich gerade jetzt herausgestellt, dass Hannelore an einer Drüsentuberkulose leidet. Was Familie G. braucht, sind: drei große Matratzen und eine für das Kinderbett. Ferner fehlt es dem Kind an Unterwäsche und Strümpfen. Das kleine Mädchen hat noch niemals einen brennenden Weihnachtsbaum gesehen …
Der schwerbeschädigte August St. lebt mit Frau und fünf Kindern im Alter von eins bis neun Jahren in zwei Zimmern und Küche in Sossenheim. Alles ist dunkel und nass – die Möbel verfaulen. Einer der Jungen ist Tbc-gefährdet, muss aber trotzdem mit seinem Bruder im gleichen Bett schlafen; im zweiten schläft die Mutter mit der Tochter. „Alles zum Anziehen ist sehr knapp“, sagt Frau St. „Besonders Schuhe fehlen.“ Im Küchenschrank stehen nur vier tiefe Teller für sieben Personen, Messer gibt es sogar nur drei.
Noch mehr Hilfe ist nötig!
Wir wollen uns nicht an die Weihnachtstische setzen, ohne anderen eine kleine Freude bereitet zu haben!“