Bild: Christoph Boeckheler

Der Viktualienmarkt in München fehle ihr schon, sagt Almut B. (Name geändert) mit unverwechselbarem Zungenschlag ein bisschen wehmütig.

Die Nähe zu den erwachsenen und im Beruf stehenden Kindern natürlich auch, bemerkt sie. Aber vor mehr als 25 Jahren sei der Entschluss gefallen, der bayerischen Landeshauptstadt ob ihrer Gesundheit willen lieber den Rücken zuzuwenden.

Damals habe sie voll im Leben gestanden, weit mehr als das übliche Stundenquantum am Tag gearbeitet – bis zum Zusammenbruch.

„Ich habe ja eigentlich Sekretärin gelernt, aber in Lokalen serviert habe ich schon immer, seit meinen 18. Lebensjahr“, erzählt die 72 Jahre alte Frau. Nach dem Arbeitstag in einer Anwaltskanzlei bediente sie etwa die Gäste im Augustiner-Garten oder beim Oktoberfest.

„Lange Zeit habe ich 14 bis 16 Stunden am Tag an einem Stück gearbeitet“, sagt B. Als alleinerziehende Mutter habe sie vier Kinder versorgen müssen. „Kinder kosten eben Geld“, sagt sie, ohne einen Vorwurf zu erheben.

Um das Arbeitspensum bewältigen zu können, habe sie Aufputschmittel genommen. Die Menge der Wachhalter sei dabei stetig gestiegen. Ende der 1990er Jahre erkannte sie die Gefahr und begab sich zur Entgiftung in eine Friedrichsdorfer Klinik.

„Normalerweise sind die Leute dort nach drei Monaten wieder draußen gewesen, bei mir hat es wegen der Schwere des Suchtgrades acht Monate gedauert“, sagt B. Danach stand für Almut B. jedoch auch fest: „Ich konnte nicht mehr zurück nach München, sonst wäre ich wieder in den alten Trott gefallen.“

B. fand eine Bleibe in Bad Homburg, aber keine Arbeit. „Mehr als hundert Bewerbungen habe ich geschrieben. Alle vergebens. Mit den Absagen überkam mich auch die Depression“, sagt sie.

In dieser Situation habe es ihr sehr geholfen, in der Arbeitstherapie der Klinik kunsthandwerklich tätig sein zu können. Zudem strickt B. immer noch viele Schals und Mützen, nicht für sich selbst. „Es gibt viele Menschen, denen geht es schlechter als mir. Die Sachen verschenke ich zu Weihnachten an die Obdachlosen“, sagt B.

Zu ihrer kleinen Rente erhält die Seniorin Wohngeld. „Ich bin dankbar, dass es die FR-Altenhilfe gibt“, sagt B. Seit 2019 erhält sie die Zuwendung, die sie sparsam verwendet. „Das Geld lege ich erst mal zurück, damit ich über die Monate etwas besser leben kann, vieles ist ja so teuer geworden“, bemerkt sie.

Über ihr bescheidenes Dasein verliert sie nicht viele Worte. Wenn sie etwas bedauert, dann ist es das, dass sie in ihrer Wahlheimat auch nach all den Jahren den sozialen Anschluss nicht so richtig gefunden hat. „In München war ich bekannt wie ein bunter Hund“, sagt B. mit einem Lächeln. Detlef Sundermann