Bild: Michael Schick

Die 83-jährige Dagmar P. kam damals hoffnungsvoll aus Görlitz – aber alle beruflichen Pläne zerschlugen sich.

Einen Bekanntenkreis oder familiäre Bindungen hat sie nicht, feste Kontakte zu anderen Menschen sind nicht gewollt. „Ich bin es seit Jahrzehnten so gewöhnt“, sagt Dagmar P., die in Frankfurt wohnt und seit langem von der Altenhilfe unterstützt wird. Einmal, so erzählt die 83-Jährige, habe sie eine Freundin gehabt, damals in der DDR. „Aus meiner Stasi-Akte musste ich dann erfahren, dass sie mich verraten hat.“

Misstrauisch ist die in Schlesien geborene Frau geblieben – gerade auch, weil 2019 in ihre im zweiten Stock gelegene Zweizimmerwohnung eingebrochen wurde. „Als ich aus meinem Mittagschlaf aufgeschreckt bin, stand eine Fremde im Wohnzimmer!“ Es sei aber keine Option, aus der heimischen „Rentnersiedlung“ wegzuziehen, in der sie seit 33 Jahren lebe.

Ihre Miete beläuft sich derzeit auf 620 Euro im Monat, an Grundsicherung wird 276 Euro überwiesen. „Mir bleiben monatlich knapp 400 Euro“ , sagt Dagmar P. Es gibt kaum etwas, dass sie nicht auf eigene Faust erledigt: kochen, putzen, nähen, frisieren – „die Selbsthilfe habe ich während meiner Zeit in der DDR gelernt“.

Im Kriegsjahr 1943 flüchtet die Sechsjährige mit Mutter und Urgroßmutter nach Westen, ins Kreisgebiet von Görlitz. Die 1865 geborene Urgroßmutter zieht das Mädchen auf, unterrichtet sie im Lesen und Schreiben. Dagmar P. lässt sich zur Bankkauffrau ausbilden – eine Profession, die sie zeitlebens ausübt. „In der DDR habe ich sehr gut verdient, war in meinem Beruf durchaus angesehen.“

Die Ehe mit einem älteren Mann – „der hatte einen Holzbetrieb und ein großes Grundstück“ – ist dagegen ein Desaster, von Jähzorn und Prügeln geprägt. „Sechs Monate vor Grenzöffnung bin ich abgehauen.“ Ziel ist die „Bankenstadt“ Frankfurt, wo sich die Fachfrau eine neue Existenz aufbauen möchte. Sie bewirbt sich in Serie, wird aber nirgends eingestellt. „Denen war ich mit meinen 52 Jahren zu alt.“

Die beruflichen Hoffnungen zerschlagen sich endgültig, als ein Schlaganfall und eine Magenoperation ihren Gesundheitszustand nachhaltig verändern. Weil Dagmar P. alle Handarbeiten – „das Nähen, das Stricken, das Häkeln“ – beherrscht, kann sie sich eine Zeit lang ihre Kleidung in Eigenregie herstellen.

Auch diese Phase ist mittlerweile vorbei, heute verbringt die 83-Jährige ihre Stunden zumeist in den eigenen vier Wänden, wo sie gerne Radio hört und Serien im Fernsehen sieht. „Politisch bin ich immer im Bilde.“

Die Weihnachtszeit wird ohne Festschmuck vorübergehen: „Das habe ich längst hinter mir.“ Dankbar ist die Seniorin für die regelmäßigen Gaben der Altenhilfe. In den vergangenen Jahren konnte sie sich damit viele Wünsche erfüllen: Waschmaschine, Kochplatte, Lüfter. In diesem Jahr soll es eine neue Brille sein: „Die brauche ich unbedingt.“ Olaf Velte