Bild: Bernd Fickert

Nach einer Brustkrebsdiagnose im vergangenen Jahr hat sich das Leben für Silvia N. vollends verändert. Mehr Ruhepausen sind jetzt einzulegen, die Abläufe im Haushalt gestalten sich zuweilen mühsam. „Den schweren Korb mit Wäsche kann ich nicht mehr in den Keller tragen“, sagt die lebhafte Frau, die sich selbst als „pflegeleicht“ und „menschenfreundlich“ bezeichnet.

Schon im Jahre 2018 war die Zuwendung der Altenhilfe eine wertvolle Unterstützung zur rechten Zeit: „Davon habe ich mir eine Waschmaschine kaufen können.“ Die seitdem in der Sozialwohnung von Silvia N. steht – und bald Gesellschaft von einem Trockner bekommen soll. Toll sei das, was die Altenhilfe leiste. Auf Rat eines Nachbarn hat die 69-Jährige vor zwei Jahren – „mit sehr viel Scham“ – den Kontakt aufgenommen. Heute bereut sie es nicht, sich damals einen Ruck gegeben zu haben.

300 Euro bleiben der Seniorin, um das monatliche Dasein zu bestreiten. „Mit einer Rente von 786 Euro und der 19-Euro-Grundsicherung muss ich alles bewältigen.“ Ihre Wohnung in dem Kelkheimer Mietshaus kostet monatlich 411 Euro, dazu kommen noch Zahlungen für Strom, Telefon, Haftpflicht. Um über die Runden zu kommen, muss strategisch vorgegangen werden. „Wenn ich Gulasch koche, wird davon eine Woche lang gegessen.“ Eine Linsensuppe stehe beispielsweise für drei Tage auf dem Speisezettel.

Silvia N. erzählt von einem über drei Jahrzehnte währenden Berufsleben, das mit einer Ausbildung zur Friseurin beginnt und mit „nicht angemeldeten“ Gelegenheitsjobs an sein Ende gelangt. Das Handwerk am Frisierstuhl tauscht sie nach der Geburt ihrer beiden Kinder gegen eine Tagesmuttertätigkeit ein. Zehn Jahre als Putzfrau in Privathäusern schließen sich an. Eine Zeit, in der für das Rentnerdasein nichts zurückgelegt werden kann.

Vergangenheit sind auch „zwei sehr schlechte Ehen“ und eine „schöne Kindheit“ unter Obhut der Großmutter. Als „Hausgeburt“ ist Silvia N. in Königstein zur Welt gekommen – ein „Besatzungskind“, dessen Vater sich Richtung USA davonmacht und das von der Mutter bis heute abgelehnt wird. „Das musste ich akzeptieren.“ Lieber erinnere sie sich an das bäuerliche Königstein der 50er-Jahre mit seinen Obstgärten, seiner fast dörflichen Gemeinschaft. „Heute gefällt mir der Ort überhaupt nicht mehr.“

Fest verwurzelt ist die 69-Jährige seit langem in Kelkheim, wo ein „großer Bekanntenkreis“ in Reichweite ist – die Mietshausnachbarschaft aber „ebenfalls zu kratzen hat“. Den menschlichen Kontakt brauche sie, zum Stubenhocken fehle ihr die Geduld. „Manchmal helfe ich in einem hiesigen Friseursalon noch ehrenamtlich aus.“

Zur Heiligen Nacht erwartet Silvia N. ihren Sohn, „mein Schmuckstück“. Die Tochter, zu der längst keine Verbindung mehr besteht, wird nur in der Erinnerung präsent sein. Geschenke werden jedenfalls keine auf den weihnachtlichen Tisch kommen – aber ein Essen, das Gemeinsamkeit stiftet. ov