Bild: Georg Kumpfmüller

Gerade recherchiert sie zur Kulturepoche des deutschen Biedermeier. Entsprechende Literatur hat sie sich in Bibliotheken besorgt, ist Verweisen gefolgt, hat mit Herzblut jeder Fährte nachgespürt.

„Die kulturelle Vergangenheit Deutschlands ist großartig“, sagt Lidwina P., die auch im Alter ihrer Passion nicht abgeschworen hat – ganz im Gegenteil. Die in einer jüdischen Wohnsiedlung in Frankfurt wohnende und aus Russland stammende Frau ist ausgebildete Kunstgeschichtlerin.

Mittlerweile ist die 73-Jährige auf Geld angewiesen, das von Sozialamt und Altenhilfe kommt. „Mir bleiben zwischen 200 und 300 Euro pro Monat – genug für Nahrungsmittel, zu wenig für neue Schuhe oder eine Jacke.“ Vor kurzem habe ihr Handy den Dienst quittiert, was sich im Alltag als echte Zerreißprobe erweise. Ständig kontrolliert die in Leningrad Geborene das Preisniveau, kauft vornehmlich im Discounter ein.

Weil sie Atemprobleme plagen, ist die Akademikerin oft zu Hause, arbeitet an ihren Artikeln, lauscht klassischer Musik. Aufgrund der Corona-Beschränkungen muss auf Treffen mit ihrem „festen Kreis“ verzichtet werden: Menschen von der russisch-jüdischen Gesellschaft, die sich gemeinschaftlich in Kursen weiterbilden. Der Austausch, die Gespräche fehlen.

Nach ihrer Ausbildung heiratet Lidwina P. – „lange vorbei, diese Ehe“ – , zieht nach Moskau um, arbeitet in Bibliotheken und Ministerien. Ende der 1990er Jahre wandert ihre Mutter aus, die Tochter folgt. „Ich war leichtsinnig“, sagt sie heute im Rückblick.

Noch einmal kann die Kunsthistorikerin im vertrauten Metier wirken: Ein Praktikum bringt sie in ein Frankfurter Antiquitätshaus, hinein ins Reich geschichtsträchtiger Möbel, Malereien, Keramiken. „Danach habe ich keine feste Stelle mehr gefunden.“ Sie schreibt für Magazine, berichtet über Ausstellungen und Kirchenkonzerte.

Verbindungen zu Verlegern und Herausgebern in der alten Heimat werden wichtig – „heute sehe ich mich als Vermittlerin zwischen deutscher und russischer Kultur“. Die geringe Honorierung könne den betriebenen Aufwand jedoch kaum rechtfertigen.

Mit Ankunft der Adventszeit holt die 73-Jährige wieder ihren Karton mit Weihnachtsdekoration aus dem Keller. „Ein schönes Brauchtum.“ Auf die Unterstützung der Altenhilfe freut sie sich ebenfalls. Eine besondere Idee hat sie schon: „Gerne würde ich die Meisterwerke von Tilman Riemenschneider aufsuchen und meine Forschungen vertiefen.“ Olaf Velte